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Interessante Pathologielehrstunde mit Alfred Riepertinger

Gemeinsam mit meinen Mörderischen Schwestern machte ich mich am vergangenen Dienstagabend auf den Weg in die Pathologie des Schwabinger Klinikums, wo wir im Haus 32 von Präparator Alfred Riepertinger, begeistertem Könner seines Fachs, erwartet wurden. Sein Angebot lautete, uns in die Welt der Leichenpräparation einzuführen. Doch sein Wissen ging weit über das, was ein Leichenpräparator wissen muss, hinaus. Hinzu kam sein großer Erfahrungsschatz und schon waren wir Mörderischen Schwestern in unserem Element.

Zum Verständnis: Pathologie und Rechtsmedizin werden oft miteinander verwechselt, weil sie sich im Ablauf mancher Arbeitsschritte ähneln. In einem Institut für Pathologie werden ausschließlich Verstorbene obduziert, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Rechtsmediziner befassen sich hingegen mit Verstorbenen, die durch einen nicht natürlichen Tod, durch Gewalteinwirkung, Unfälle, Tötungsdelikte, Vergiftungen, Suizid oder Behandlungsfehler ums Leben gekommen sind. In beiden Fällen soll durch eine Obduktion erkannt werden, ob es sich doch um einen natürlichen oder einen gewaltsamen, unnatürlichen Tod handelt. Ein Leichenpräparator wie Alfred Riepertinger richtet Leichen mit groben Verletzungen wieder her, damit die Angehörigen Abschied nehmen können. Allerdings nie komplett. „Es ist wichtig, dass die Angehörigen erkennen, dass der Tote an etwas Schlimmen gestorben ist und nicht nur schläft.

Mit großen Erwartungen nahmen wir im altmodischen Hörsaal der Pathologie Platz. Alfred Riepertinger ist ein launiger Redner (und übrigens ein genauso unterhaltsamer Schreiber), der uns Zuhörerinnen schnell in seinen Bann ziehen konnte. Also zückte ich Stift und Block, um so viel Wissen wie möglich mit nach Hause zu nehmen und hier in meinem Blog mit Ihnen zu teilen.

Und schon ging es los, mit der nichterkannten, nicht natürlichen Todesursache. 44 % aller Mediziner würden sich vor dem Tod ekeln, erklärte Riepertinger anhand einer Studie und sah darin den Grund, warum so viele unnatürliche Tode vor der Ausstellung eines Totenscheins nicht erkannt werden konnten.

Bei einer nicht natürlichen Todesursache muss die Polizei, der KDD, eingeschaltet werden. Richter oder Staatsanwaltschaft ordnen dann eine Obduktion an.

Vor der Leichenschau muss ein Mensch vollständig entkleidet werden, weil nur so gewährleistet werden kann, dass der Arzt nichts übersieht. Dies sei in vielen beliebten Krimiserien, aber auch in der Realität nicht immer der Fall, erklärte Riepertinger und verwies auf zu viele Blickdiagnosen, die sogar den Todeszeitpunkt mit einbezogen.

Der Präparator berichtete von einem Fall, bei dem ein Mann in seinem Bett gefunden wurde und angeblich an Herzversagen gestorben war – natürliche Todesursache. Der Leichenbestatter kam, zog die Decke weg und entdeckte ein Messer, das in der Brust des Toten steckte. Vielleicht war der Mann auch an Herzversagen gestorben, natürlich war das natürlich nicht.

Gut zu wissen: Bayern ist das einzige Bundesland, das keine zweite Leichenschau vor der Einäscherung vorschreibt. Für Krimiautoren wunderbar, für die Menschen, die eines nichtnatürlichen Todes starben, bei weitem nicht.

Mit ungeschönten Fotos, die Riepertinger mittels PowerPoint an die Wand des Lehrsaals warf, nahm er uns mit in seine Welt der Leichenpräparation, die an manchen Stellen skurril anmutete. So berichtete er von einer Frau, die 5 Jahre neben ihrer toten Mutter im Bett lag, weil sie nicht allein sein konnte. Wir sahen Fotos von Leichen, die vom Zug erfasst, durch einen Schuss, Strang oder Autounfall zu Tode gekommen waren.

Riepertinger erklärte, wie es wirklich zugeht beim Sterben und verwies immer wieder auf die häufigen Fehler mancher Krimihandlungen. Ich lauschte aufmerksam und freute mich, dass ich beim Recherchieren meine Rechtsmedizinbücher eifrig und gewissenhaft studiert hatte. Todeszeitpunktermittlung siehe Todesfalle Campus.

Es gibt sichere Todeszeichen, wie z. B. Leichenflecken, die nach 20 bis 30 Minuten auftreten und nach ca. 8 Stunden nicht mehr weggedrückt werden können, und unsichere Todeszeichen, wie gebrochene Augen oder einen Herzstillstand. Und es gibt Umstände, die mit dem Leben nicht vereinbar sind, etwa wenn der Kopf abgetrennt wurde.

Die Leichenstarre entsteht, wenn der ATP-Spiegel im Muskel absinkt und dieser sich dadurch versteift. Das Adenosintriphosphat hält bei Lebenden die Muskelverbindung geschmeidig. Dieser Prozess dauert länger, je höher die Umgebungstemperatur und je größer und muskulöser der Mensch ist. Riepertinger erinnert sich an einen toten Sportler, der steif wie ein Brett war und tatsächlich aufgestellt werden konnte. Die Leichenstarre beginnt in der Regel im Kiefer, weil das der Muskel ist, der am besten trainiert wird - bei Läufern beginnt sie in den Beinen-, und endet erst nach 75 bis 200 Stunden.

Durch die Darmbakterien wird ein Fäulnisprozess in Gang gesetzt, der sich am Bauch grün durchschlägt. Siehe Marionette des Teufels.

Leichen, die im kalten Wasser liegen, bleiben fast so erhalten, wie sie vor dem Tod aussahen. Wird die Leiche an Land geholt, setzt der Fäulnisprozess beinahe explosionsartig ein. Im warmen Wasser passiert dies dagegen sofort, warum diese Leichen nach oben treiben – wenn sie nicht mit schweren Gegenständen daran gehindert werden.

Bei einem erhängten Menschen könne es vorkommen, dass das Hirn tot ist, das Herz aber noch schlägt. Die Zuckungen, die in Filmen oft gezeigt werden, seinen nichts anderes als Nervenzuckungen. Riepertinger erzählte uns, dass es dann eben keine Anweisungen des Gehirns mehr gab, er selbst habe bei Schädelöffnungen gesehen, wie das Gehirn im Fall eines Hirntoten aussah. Eine graubraune Masse, die beim Öffnen des Schädels herausläuft.

Ein Leichenpräparator darf keinen Anblick scheuen und so sahen auch wir an diesem Abend Bilder, die weder gruselig noch abstoßend, sondern einfach interessant sind und einen Weg dokumentieren, den wir alle so oder anders irgendwann einmal gehen werden. Vielleicht.

Riepertingers Fakten: Bei Fäulnis ist die Haut grün, wirft Blasen, ist glitschig und lässt sich abziehen.

Maden fressen lieber im Dunkeln, warum sie bei eingeschaltetem Licht erst die abgewandte Seite anfressen. Die grünen und die blauen Schmeißfliegen sind die ersten am Leichenaufbewahrungsort und machen, wenn sie können, auch vor der Pathologie nicht Halt.

Eine Natur-Mumie bildet sich nur aus, wenn die Person schlank war und die Leiche im ständigen Luftstrom liegt.

Eine einzelne Stichverletzung weist häufig auf einen Selbstmord hin, vor allem wenn es sogenannte Probierschnitte gibt. Mehrere Stiche, oft gepaart mit tiefen Abwehrverletzungen an den Händen, weisen auf rohe Gewalt hin. Oft spricht man dann auch von Übertöten. Also Hass.

Nach einem Schuss in den Mund fehlt je nach Kaliber der ganze Oberkopf oder das Gesicht. „Wenn Sie sich das vorstellen wollen, nehmen Sie eine Melone und werfen sie diese aus dem dritten Stock“, erklärte Riepertinger.

Punktblutungen in den Augen zeigen immer, dass es sich um Erstickung handelt. Viel zu selten beachtet in Altenheimen, mahnt er. Männer neigen beim Suizid eher zum Erhängen und Erschießen, Frauen werfen sich eher vor den Zug oder springen aus dem Fenster. Wobei Männer insgesamt häufiger als Frau ihr Leben selbst beenden. Bei allen, die einen Suizid planen, mahnte er, auch an die Zugführer zu denken.

Das Erhängen hat, so Riepertinger nichts mit Genickbruch zu tun. Vielmehr handelt es sich um das beinahe oder völlige Abdrücken beider Halsschlagadern.

Übrigens: Erhängen und erdrosseln kann man sich nur mit einem Seil, einem Tuch, oder einem zerschnittenen Bettlaken. „Nach 5 Sekunden im Strick ist man bewusstlos, dann bekommt man nichts mehr mit“, so der Präparator. „Erhängen geht ganz, ganz schnell!“ Erwürgen geht nur mit den Händen, wobei man sich nicht selbst erwürgen kann.

Alte Knochenverletzungen, die von einem Menschen überlebt werden, erkennt man an den weichen abgerundeten Bruchkanten. So lässt sich an einem Knochen oder Schädel noch nach 300 Jahren die Todesursache ermitteln.

Noch so ein Märchen:

Weder eine Pathologe, noch ein Rechtsmediziner stehen im Sektionsraum allein, bei schummriger Beleuchtung und waten im Blut des Toten. Bei einer Obduktion in der Rechtsmedizin sind immer Präparatoren, Ärzte, Staatsanwaltschaft, Schwestern, Studenten und Polizisten anwesend. Und es ist alles hell erleuchtet, damit alles gesehen und erkannt werden kann.

Alfred Riepertinger hat schon viele Menschen auf seinem Tisch gehabt, ganz normale oder auch so berühmte, wie Franz Josef Strauß, Rudolph Moshammer, Roy Black oder das Fürstenpaar von Liechtenstein. Er hat sie von einer Seite kennengelernt, von der sie sich selbst nie gesehen haben. Sie wurden präpariert, damit sie für die Nachwelt aufgebahrt werden konnten. „Doch nach dem Tod sind alle gleich“, weiß Riepertinger. „Da gibt es keine Unterschiede mehr.“

Ich danke Alfred Riepertinger für seinen sehr interessanten Vortrag und wünsche uns allen ein langes und gesundes Leben.

Herzlichst Ihre

Dagmar Isabell Schmidbauer

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